Zum Zuhören verdammt
Siri-Abhörerin berichtet: Von „bester Freundin“ bis „Fotze“ alles dabei
Angenehm unaufgeregt hat sich Tagesspiegel-Reporter Thorsten Mumme dem großen Thema der vergangenen Woche angenommen. Anstatt zu spekulieren, welche geheimen Gespräche die Qualitätssicherer von Alexa, Siri und Co. im Arbeitsalltag eventuell aufgeschnappt haben, hat sich Mumme mit einer Frau unterhalten, die es wissen muss.
Die 55-jährige Renate F. gehört zu den „Siri-Abhörern“, die für den deutschen Sprachraum zuständig sind und bekommt im Verlauf ihrer 30 Wochenstunden täglich 1200 bis 1800 Sprachfetzen auf die Kopfhörer.
Die Teilzeitkraft muss dann für Apple prüfen, ob Siri das Kommando ordentlich transkribiert hat – ein stinknormaler Job, der in der zurückliegenden Woche nicht nur für eine aufgeregte Berichterstattung, sondern auch dafür sorgte, dass Google und Apple ankündigten die Qualitätssicherung vorerst auszusetzen.
Dem Tagesspiegel hat Renate F. jetzt Einblicke in ihren Alltag gewährt. Hier korrigiert die Deutschlehrerin mitunter „Kot“ in „Code“ und hilft Siri so besser zu verstehen hat immer wieder aber auch mit weniger regulären Sprechern vor dem iPhone-Mikrofon zu tun. Hier kommen traurige Kinder vor, die in Siri gerne auch die beste Freundin sehen, frustriere Anwender, die auf Textfehler mit wildem Fluchen reagieren und der tragisch-normale Alltag:
Manchmal macht es ihr zu schaffen, dass sie einfach nur tatenlos zuhören kann. Schließlich sind alle Tonspuren anonymisiert. „Ich kann die Pubertierende nicht trösten, weil ihre beste Freundin sie nicht mehr sehen will. Das weinende Kind nicht, weil es wieder alles falsch gemacht hat. Die Frau nicht, die irgendjemandem vom Tod der Mama berichtet.“ Doch sie fragt sich, ob nicht irgendjemand anderes durchaus in der Lage ist, die Daten zuzuordnen und Kapital daraus zu schlagen. „Könnte man den Typen, der anscheinend Frau und Kind hat und nebenbei eine ‚geile Sau‘ bedient, erpressen?“
Ein lesenswertes Stück, dessen Lektüre wir euch empfehlen.
Spannend ist auch das Arbeitsverhältnis. Zwar wertet Renate F. Siri-Aufnahmen für Apple aus, ist aber natürlich nicht bei Apple sondern bei einem spanischen Sub-Unternehmen angestellt. Dieses hat ihr aktuell den zweiten, auf sechs Monate befristeten Arbeitsvertrag angeboten.
Tagesspiegel – „Viele Kinder bezeichnen Siri als ihre beste Freundin“