Ein Rechtfertigungsversuch
Die nächsten Apps wechseln aufs Abo-Modell
Wer sich etwas ausführlicher mit den auf iPhone und iPad bevorzugt eingesetzten Monetarisierungs-Modellen beschäftigt, die die Entwickler der im App Store angebotenen Applikationen im besten Fall dafür einsetzen ihren Arbeitseinsatz zu finanzieren, stolpert früher oder später über den deutlichen Wandel der Spiele-Kategorie.
Während Apples Software-Kaufhaus noch 2012 einen relativ ausgewogenen Mix aus Gratis-Spielen, Premium-Applikationen und werbefinanzierten Titel in seiner Auslage ausbreitete – dominiert das Freemium-Segment heute nicht nur das Gros der angebotenen Spiele, die Mischung aus Gratis-Download und In-App-Käufe ist inzwischen zum de-facto Standard der täglichen Neuveröffentlichungen geworden.
Es darf darüber gestritten werden, ob uns die Spiele-Publisher in den letzten Jahren zur gedankenverlorenen Akzeptanz der Freemium-Titel konditioniert oder einfach nur lange genug beobachtet haben. Fest steht jedoch: Die Impuls-Käufe, mit denen mal eben neue Goldmünzen, virtuelle Verkleidungen oder ein Zeitaufschub im Strategie-Spiel eurer Wahl geordert werden kann, sorgen mittlerweile für über 90% der erzielten Erträge.
Die Veränderungen, die ihr missbilligen und wahlweise natürlich auch begrüßen könnt, haben in den letzten Jahren Fakten geschaffen.
Abgesehen von vereinzelten Ausnahmen (etwa Clarc oder Monument Valley ) trauen sich fast keine App Store-Entwickler mehr, ihre Spiele kostenpflichtig anzubieten.
In einer Welt, die ihren Zockern jeden Tag 100 „kostenlos spielbare“ Titel hinterherwirft, gelten bereits Verkaufspreise von 80 Cent als unüberwindbare Hürde zum Eintritt in die AppStore Charts. Entwickler, die gerne mehr als 6€ verlangen würden, werden Anfang 2014 nur noch müde belächelt.
Ein Beispiel macht Schule.
Beobachtungen, die bis vor kurzem nur in der Spiele-Kategorie des App Stores angestellt werden konnten. Nun scheinen auch Entwickler anderer Kategorien vom zweiten Smartphone-Goldrausch – inzwischen kann man mit In-App-Käufe an die Börse gehen – angesteckt zu werden.
Nach und nach bahnen sich die bislang auf Jump-and-Run, Strategie- und Aufbauspiele beschränkten Monetarisierungs-Modelle ihren Weg in die Produktivitäts-Kategorie, treffen Lern-Applikationen, kleine Alltags-Werkzeuge, Messenger und Foto-Anwendungen.
Der Instant-Messenger WhatsApp, lange Zeit eine klassische Einmalkauf-Anwendung, hat die Einführung seiner Jahresgebühr bereits 2013 angekündigt. Die Banking-Anwendung Outbank ist gestern mit ihrem 10€/Jahr Abo-Modell in den AppStore gestartet. Das ehemals 130€ teure Fernwartungs-Tool LogMeIn hat seinen Wechsel zum kostenpflichtigen Monats-Abo in einer unangekündigten Nacht-und-Nebel-Aktion durchgezogen…
Aus den Outbank-Rezensionen
Eine Liste, die in letzter Zeit immer schneller wächst und die von uns noch eine ganze Weile fortgesetzt werden könnten. Aber wir sind eigentlich mehr am Warum? und weniger am Wer? interessiert.
Also: Was motiviert die im App Store aktiven Entwickler zur Neuausrichtung ihrer bislang eher konservativen bepreisten Angebote? Was spricht gegen die jährliche Ausgabe eines großen kostenpflichtigen Updates, dass sich (wie im Fall von 1Password) als Version 2, Version 3 oder Version 4 neu vermarkten und verkaufen lässt?
Warum wird überall mit In-App-Käufen, Abo-Modellen und regelmäßigen Zahlungen experimentiert? Vor allem, da sich viele Entwickler bloß nicht festlegen wollen und ihre neuen Pläne oft auch wieder zurückschrauben.
Fallbeispiel Bring! Eine Einkaufsliste im Umbruch
Die Entwickler der Einkaufsliste Bring! (AppStore-Link) haben uns Anfang des Monats angeschrieben und einen Blick hinter die Kulissen des Entscheidungsfindungs-Prozesses angeboten.
Am 7. Mai klopften Marco und Sandro mit einem kurzen Anschreiben in unserer E-Mail-Inbox an:
In wenigen Wochen werden wir eine grössere Änderung in Bring! einführen. Habt ihr Interesse einen Hintergrundbericht dazu auf eurem iPhone Ticker Portal zu machen? […] Wir haben uns entschieden, Bring! in Zukunft gratis in den App/Play Stores anzubieten. Die in Bring! zentrale Sharing Funktion kann dann mit einer gewissen Laufzeit via In-App-Purchase gekauft werden. Es gibt viele Gründe, die uns zu dieser Entscheidung bewogen haben. Wir sind der Meinung, dass das neue Model sowohl den Benutzern (neu und bestehende) als auch uns entgegen kommt.
Wir haben Interessiert aber skeptisch reagiert. Zum einen sind wir an den Beweggründen, die die Entwickler derzeit reihenweise zum Dreh an der Preisschraube bringen und die damit nicht selten für einen Aufschrei unter den Bestandskunden sorgen (die Outbank-Bewertungen sprechen hier eine deutliche Sprache) durchaus interessiert – andererseits wollen wir auf ifun.de keine weichgewaschenen Homestories abliefern, in denen sich schon mal vorab gerechtfertigt werden darf.
Wir haben kurzerhand zurückgeschrieben und um die ganze Story gebeten. Marco und Sandro haben uns daraufhin am vergangenen Donnerstag erneut angemailt und ihre Sicht der Dinge geschildert. Ein Text, den wir ungekürzt aber kommentiert an euch weiterreichen und so zur Diskussion freigeben möchten.
Wie schon in der ersten E-Mail angetönt, haben wir Anfang des Jahres eine Standortbestimmung zu Bring! gemacht. Wir sind ja im Dezember 2012 auf iOS gestartet, haben dann im April 2013 unsere IT-Jobs gekündigt und widmen uns seither vollumfänglich der Bring! App. Im Dezember 2013 sind wir dann auch mit Android an den Start gegangen. Über dieses Jahr hinweg haben wir als App Publisher sehr viel gelernt und wir bekommen täglich viele Benutzer Feedback Emails mit Wünschen. Daneben haben wir im 2013 viele neue Ideen rund um Bring! entwickelt und einige Kooperationsanfragen bekommen.
Anfangs 2014 standen wir also vor folgender Ausgangslage: Wir haben eine App die unsere Benutzer lieben und wir sehr viel positives Feedback bekommen. Wir haben aber auch noch einiges Verbesserungspotenzial (z.B. mehrere Listen, Katalogpflege etc.) und vor allem ein grosser Backlog an innovativen Ideen wie z.B. Rezeptimport, Event Organisation etc. Die App spielt zwar bereits regelmässig Geld in unser Unternehmen, jedoch ist das Wachstum nicht gross genug um die App nachhaltig weiter zu entwickeln. Wir mussten uns also überlegen, wie wir strategisch mit der App weitergehen und ein Modell finden, welches dem Benutzer entgegen kommt und uns die Weiterarbeit an Bring! ermöglicht. Für uns war jedoch von Anfang an klar, dass wir weiterhin das Ziel verfolgen die No.1 Einkaufs-App im App Store zu werden.
ifun.de: Zwei Entwickler, die für ihr Projekt die eigenen Jobs an den Nagel hängen und ein Risiko eingehen, dass sich initial eher schlecht als recht kalkulieren lässt. Zum einen darf so viel Abenteuerlust sicher beglückwünscht werden, zum anderen stellen wir uns natürlich die Frage, ob nicht gerade die Jobaufgabe eine genauere Strategie-Planung im Vorfeld zur Pflichtaufgabe hätte werden lassen müssen.
Wenn die Nutzer-Community der Bring-Neuausrichtung ähnlich skeptisch wie dem Outbank-Relaunch gegenübersteht, dann kann sich die App zu ihrem Neustart mit 300 1-Stern-Bewertungen herumschlagen. Dünnes Eis, dies dürfte auch den Entwicklern klar sein. Welche Gründe sprechen also für die Umstellung?
Das Erste was wir uns überlegt hatten war, ob eine kostenpflichtige App weiterhin der richtige Weg ist. Das Problem bei einer Payed App ist, dass der Benutzer zuerst den Kauf tätigen muss, bevor er die App wirklich testen und erleben kann. Theoretisch wäre es zwar möglich, die App zu kaufen, dann zu testen und wenn sie einem nicht gefällt einen Refund auszulösen. Das machen die Benutzer aber fast nie und so bleibt der fade Geschmack für etwas bezahlt zu haben, was man eigentlich nicht will.
Das wollten wir in Zukunft unseren Benutzern ersparen in dem wir die App im Store gratis anbieten. So hat der interessierte Benutzer eine faire Chance die App zuerst vollumfänglich auszuprobieren, bevor er sich für den Kauf einer Option entscheidet. In Bring! wird es in Zukunft konkret so sein, dass man die Sharing-Option (neu Bring! Plus) zuerst testen kann und nach einer gewissen Zeit dann via IAP kaufen muss. Für den Single User wird Bring! gratis sein. Wir sind der Überzeugung, dass dieses Tryout dem Benutzer entgegen kommt, da er danach ganz genau weiss, was er kaufen wird. Das haben uns viele Emails von Benutzer, die sich genau das gewünscht haben, auch im Vorfeld schon bestätigt.
ifun.de: Wir nehmen hier für uns mit die folgende Info mit: Dem App Store fehlen Demo-Versionen. Weiter im Text.
Als App-Publisher sind Kooperationen sehr wichtig. Zum einen können Kooperationen dem Benutzer zusätzlichen Wert bringen (z.B. Rezepte aus einer Food Site, Coupons von einem Lebensmittelladen usw.). Zum Anderen sind Kooperationen eine sehr gute Plattform um die App breiter zu vermarkten. Wir hatten einige Kooperationsanfragen und haben gemerkt, dass es schwierig ist eine Kooperation einzugehen solange die App als Payed App in den Stores steht. Das Problem ist auch hier wieder die Bezahl-Hürde am Anfang des Benutzererlebnis und somit auch die Reichweite. Wir hoffen nun, dass wir mit dem neuen Modell einige, für unsere Benutzer spannende, Kooperationen umsetzten können.
Neben der Free Anpassung mussten wir abschätzen, ob der aktuelle One-Time Purchase das Projekt Bring! genügend finanziert, damit wir die Weiterentwicklung langfristig sicherstellen können. Es gibt ja sehr viele Modelle wie Publisher die Entwicklung ihrer App finanzieren. Modelle wie z.B. Werbung (wir wollen weiterhin keine störende Werbung in Bring!), Remakes (z.B. iOS7 oder 2014 Version von XYZ) oder Data Selling (die App ist gratis, weil die Benutzerdaten/verhalten monetisiert werden) kamen für uns nicht in Frage, weil sie dem Benutzer keine gute User Experience bieten (ich will keine Werbung, warum muss ich jetzt die iOS7 Version kaufen) oder halt intransparent sind (Meine Daten gehören nur mir).
Der klassische One-Time Purchase ist unserer Meinung nach ein Modell, welches in der Software keine Zukunft mehr hat. Es ist eine Illusion zu glauben, dass mit einem einmaligen Betrag eine Software über längere Zeit weiterentwickelt wird. Zu diesem Schluss kommen immer mehr und mehr Publisher.
ifun.de: Oben im Text angesprochen, hier von Entwickler-Seite bestätigt. Apps zum Einmalkauf sterben aus. Wir können uns schon jetzt auf zahlreiche Änderungen in den Angeboten des App Stores einstellen scheinen derzeit einer Findungs-Phase beizuwohnen. Ob das temporäre Freischalten von Premium-Zusatzfunktionen dabei der beste Weg ist, werden die kommenden Monate zeigen.
Sobald deine App einen Lebensdauer von mehr als 2-3 Jahren hat, muss ein Recurring-Modell eingesetzt werden. Das haben wir ja u.A. auch am Beispiel von Whatsapp gesehen wie ihre App von One-Time Purchase auf Recurring umgestellt haben. Die Vision von Bring! ist in 1-2 Jahren noch längst nicht erreicht und weil wir den Bring! Fans ein faires Modell anbieten möchten, haben wir uns entschlossen den kommenden Bring! Plus IAP an eine Zeitdauer zu binden. Der Benutzer kann sich zwischen zwei Optionen entscheiden: Bring! Plus für 1 Jahr für 2.69 Euro oder Bring! Plus für 3 Monate für 0.89 Euro. Wenn er keine Option verwenden möchte, dann kann er Bring! weiterhin verwenden, jedoch ohne die Sharing Option. Nach Ablauf einer Option kann er wählen, ob der die Option nochmals kaufen möchte, d.h. wir distanzieren uns ganz klar von einem Abo-Modell wo automatisch etwas gekauft wird. Da der Benutzer ausserdem die Bring! Plus Option zuerst testen kann, geht er so also absolut kein Risiko ein etwas zu kaufen, was er eigentlich gar nicht möchte.
Wir sind der Überzeugung, dass wir durch diese Anpassungen ein Modell einführen, welches unseren Benutzer wesentlich mehr Kontrolle gibt und somit auch fairer ist. Ausserdem bietet es uns eine stabilere Grundlage um Bring! weiter auszubauen und Mittel zu haben an der Vision von Bring! zu arbeiten: Wir wollen mit Bring! den hohen Ansprüchen unserer Benutzer weiterhin gerecht werden und auch in Zukunft die nützlichste, einfachste & most sexy Einkaufsliste auf dem Smartphone sein!
Bring! wird seine Umstellung zur Gratis-App mit kostenpflichtigen Zusatz-Funktionen noch im laufenden Monat hinter sich bringen. Ob sich der Poker-Einsatz dann bezahlt macht, werden vor allem zwei Faktoren bestimmen: Sorgt der Dreh am Preis für den erhofften Popularitäts-Schub? Und: Ist ein ausreichend großer Prozentsatz der neuen Nutzer anschließend bereit 90 Cent pro Quartal in den Abgleich von Einkaufslisten zu investieren?
Wir werden Bring! im Laufe der kommenden Monate interessiert beobachten und wünschen den Schweizer Entwicklern alles Gute. Persönlich benutzen wir zwar eine andere Einkaufsliste für den wöchentlichen Supermarkt-Abstecher, respektieren aber die transparente Kommunikation der Macher. Was sagt ihr?