Inzwischen geht es ums Geld: Zäsur in der Jailbreak-Gemeinde
Was als Sport, als Katz-und-Maus-Spiel, zwischen technisch versierten iPhone-Hackern und Apples hauseigener iOS-Abteilung angefangen hat, ist inzwischen zu einem Wettlauf gegen die Zeit und um hohe Beträge geworden.
Der iPhone-Jailbreak, die Überwindung der von Apple errichteten Mauern um den „walled garden“ iOS, startete als unschuldige Schnitzeljagd im Code des iPhone Betriebssystems.
Freiheitsliebende Fans des Smartphones aus Cupertino machten sich auf die Suche nach brauchbaren Einfallstoren im Betriebssystem, klopften den sicher verpackten Kern der iPhone-Software auf mögliche Lücken ab, die Apples Programmierer beim Run auf Steve Jobs letzte Deadline übersehen bzw. vertagt hatten und feierten sich – waren brauchbare Tore gefunden und geöffnet – oft mehrere Tage, wenn die aktuelle iOS-Version so für die Installation inoffizieller Applikationen vorbereitet werden konnte.
Ein Spaß, der oft nur vorübergehend, bis zum nächsten iOS-Update anhielt und von Apples Team, meist binnen weniger Wochen, wieder korrigiert wurde.
Den seit Jahren zu beobachtenden Jailbreak-Anstrengungen, ließ sich in der Vergangenheit so entspannt beiwohnen, wie einem nicht enden wollenden Tennis-Match. Ein Regelmäßiger Schlagabtausch – ifun.de berichtete als einzige deutsche Webseite über jeden erfolgreichen iOS-Angriff – der stets für gute Unterhaltung sorgte. Auf mehreren Fronten.
Populäre Coder
Wurden die Jailbreak-Veröffentlichungen anfangs (wir sprechen vom Sommer 2008) nur von einem kleinen Kreis fundierter iPhone-Nutzer verfolgt – wuchs die aktive Jailbreak-Nachfrage bald so rasant, wie der Marktanteil des Apple Handys. Der Jailbreak, so viel hatte sich herumgesprochen, konnte den SIM-Lock des iPhones entfernen, kleine System-Modifikationen installieren, die den Zugriff auf Apples unmöglich versteckte Systemeinstellungen anboten und vor allem: Erst mit dem Jailbreak ließ sich Apples kleiner Taschen-Computer auch als eben solcher benutzen. Installiere was du willst, immerhin ist es dein Gerät.
Erst mit dem Jailbreak wurde das iPhone brauchbar.
Um Geld ging es den unterschiedlichen Machern der über acht Jailbreak-Werkzeuge bisher nie. Im Gegenteil. Die Fußnote „kostenlos“ sorgte für ein Heer interessierter Nutzer und macht die Entwickler der Jailbreaks zu kleinen Stars der Community.
Jailbreak-Entwickler mit Spitznamen wie MuscleNerd werden auf Twitter von Followern im hohen sechsstelligen Bereich umrungen (und umringt).
Doch die steigende Popularität der „iPhone-Freischaltung auf Knopfdruck“ sorgte schnell auch für unangenehme Begleiterscheinungen. Aus den Software-Entwicklern wurden Rampensäue. Coder, die plötzlich mit Home-Stories in Gesellschaftsmagazinen bedacht wurden, die sich im Fernsehen äußern durften und im Web bejubelt wurden.
Aus den 15 Minuten Ruhm, die der Jailbreak noch vor fünf Jahren einbrachte wurden inzwischen mehr als 15 Wochen Ruhm. Getragen vom ungleichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Nutzern und Hackern.
Auf der einen Seite die bittenden, fragenden und wartenden Heerscharen der interessierten Nutzer: Wann dürfen wir den nächsten Jailbreak erwarten? Wann ist es wieder so weit? Auf der anderen Seite die Hacker, die sich, berauscht von dem einsetzenden Personenkult, langsam anfingen in ihrer Rolle zu gefallen.
2011. Das Wort Jailbreak brauchte nicht mehr erklärt zu werden.
Die steigende Popularität der iPhone-Hackereien hatte die Werkzeuge zum Brechen der Apple-Restriktionen enorm einfach werden lassen. Die neuen Tools funktionierten problemlos, meist direkt auf Knopfdruck und erreichten erstmals eine breite Masse.
Die Erweiterungen, die sich nach dem Jailbreak auf dem eigenen Gerät installieren ließen, unterscheiden sich qualitativ fast nicht mehr von Apples Hausanwendungen. Die durch den Jailbreak möglich gewordenen Zusatz-Apps, sahen für technisch weniger versierte Freunde so aus, als seien sie ein fester Bestandteil der Apple-Smartphones.
Und wirklich, auch Apple schien Lunte zu riechen. Hier professionalisierten sich Hobby-Projekte, die sich langfristig wohl auch zu Geld machen lassen würden. Mehr und mehr Jailbreak-Entwickler wechselten an den Apple-Campus und arbeiteten fortan für die andere Seite.
Die, die der Community treu blieben fingen auf einmal an ihre Jailbreak-Anwendungen zu verkaufen. Zwar für kleine Beträge, aber immerhin, das Jailbreak-Feld, lange Zeit frei von kommerziellen Interessen, bekam sein eigenes Software-Kaufhaus. Eine Alternative zum App Store, in der sich iPhone-Erweiterungen shoppen lassen konnten.
Der Cydia-Store, schon länger verfügbar, aber erst durch die hochkarätigen Bezahl-Apps auch attraktiv geworden, sorgte für die ersten Dollarzeichen in den Augen der bis Dato noch relativ unschuldigen Hobbyisten.
Während im Cydia Store zunehmend für iPhone-Applikationen bezahlt wurde – gingen die Entwickler des Jailbreaks noch immer leer aus. Die harte Arbeit, die die Installation der App Store-Alternative erst möglich machte, das Grauzonen-Ecosystem in Apples Schatten zu einen einträglichen Geschäft führ mehr als 100 Entwickler machte, blieb lange Zeit unvergütet.
Dann kamen die Spenden. Die Jailbreak-Macher fingen an sich bezahlen zu lassen. Noch auf freiwilliger Basis, oft erst nach, manchmal aber auch vor Veröffentlichung des nächsten Jailbreak-Werkzeuges. Die spielerische Unschuld, die das Motto des Jailbreak-Movements „wir umgehen Apples Restriktionen, weil es Spaß macht“ über Jahre hinweg geprägt hatte, verflüchtigte sich zusehends.
Wieso wurde die Jailbreak-Veröffentlichung nicht im Vorfeld angekündigt?
Dann kam der 22. Dezember. Der 4. Advent, der Berichterstatter wie uns, mit einer Jailbreak-Ankündigung in den Mittagsstunden überraschte und für viele Fragezeichen sorgte. Wieso wurde die Jailbreak-Veröffentlichung nicht im Vorfeld angekündigt? Wieso ist der Cydia-Store noch nicht für iOS optimiert? Wieso wird auf iPhone-Einheiten deren Systemsprache auf Chinesisch gestellt ist, ein weiterer, inoffizieller App Store installiert? Wieso stürzen die frisch befreiten Telefone alle naselang ab? Sonst hatten die Jailbreak-Macher doch immer Wert auf Qualität gelegt.
Geld vergiftet.
Inzwischen steht fest. Die aktuell veröffentlichte Jailbreak-Lösung hat nichts mehr mit kindlichem Spieltrieb, nichts mehr mit kleinen Hacks und großen System-Erweiterungen zu tun. Es geht um Geld. Um viel Geld.
Das evasi0n-Team hinter dem heute zum Download freigegebenen Jailbreak-Werkzeug hat sich gleich aus mehreren Gründen für eine schnelle, oder besser verfrühte, Freigabe ihres iOS-Dosenöffners entschieden.
Nummer 1: Die Macher hinter dem chinesischen App Store hatten Geld geboten. Geld für die Integration der asiatischen App Store-Alternative auf chinesischen Geräten. Übrigens passend zum dortigen Vertriebsstart des iPhones. Nummer 2: Neben dem evasi0n-Team arbeiteten auch andere Entwickler an einem Jailbreak. Entwickler denen ähnlichen Offerten gemacht wurden. Entwickler, die auch kurz davor standen eine Jailbreak-Lösung anzubieten.
Den Rest durften wir heute live mitverfolgen. Das Team evasi0n entschied sich gegen die Community und für eine Bar-Überweisung. Der aktuelle Jailbreak funktioniert nur mäßig um den Alltag mit eueren Geräten zu erleichtern, hat seinen chinesisches Pflichtenheft aber erfüllt und wurde noch vor der Konkurrenz freigegeben.
Und unterm Strich?
50% Belanglosigkeit: Inzwischen macht iOS 7 den Jailbreak mehr oder weniger überflüssig. Nutzer die die „Freiheit“ suchen, wenden sich Android, dem Firefox OS oder anderen Smartphone-Plattformen zu. So richtig angewiesen auf den Jailbreak, sind auch hartgesottene iPhone-Nutzer nicht mehr. Von daher können wir uns das Drama der heutigen Veröffentlichung eigentlich sparen.
50% Melancholie: Dennoch, wir hätten uns über eine Fortsetzung der alten Tage gefreut. Neue Anleitungen, neue Inspirationsquellen die den Funktionsumfang von iOS 8 und 9 beeinflussen hätten können, neues „Kontra“, das gegen Apples Bitcoin-Politik hätte anstinken können.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen geht es ums Geld. Der 22. Dezember bekommt im Jailbreak-Artikel der deutschen Wikipedia die Zwischen-Überschrift: „Zäsur in der Jailbreak-Gemeinde“.