Eine Zumutung
Springers neue Nachrichten-App KOMPAKT ist ein Desaster
Halbnackte Fotos vom dicksten Mann der Welt – gestern gestorben, egal. 10 sexy Promi-Frauen. Die Info, dass Ausländer irgendwo in der dritten Welt zu wenig Geld verdienen. Das Zitat des Tages von Papa Schlumpf und hastig kopierte Twitter-Fotos von Babys mit angemalten Augenbrauen.
Die heute vom Springer-Verlag vorgestellte Nachrichten-App KOMPAKT ist ein Desaster.
Die wild zusammengewürfelten Nachrichten-Häppchen sind fast ausnahmslos weniger informativ als die Rückseite einer blindlings gegriffenen Shampoo-Flasche – die Artikel-Kärtchen, auf denen oft nur drei bis vier Sätze pro Eintrag abgedruckt sind, so anspruchslos formuliert, dass sich jeder Nutzer der heute ausgegebenen „Nachrichten-App für die digitale Generation“ zurecht in seinem Intellekt verhöhnt fühlen darf.
Beispiel gefällig? Vielleicht etwas Passendes zu eurem Interessengebiet? Die KOMPAKT hat sich den gestern aufgekommenen Gerüchte über Apples möglichen Einstieg – ifun.de berichtete – in den Produktbereich der Heimautomatisierung angenommen.
Der ungekürzte Eintrag aus der KOMPAKT – einer App mit der Springer jetzt den 10. Geburtstag der WELT Kompakt feiert – liest sich wie folgt:
iPhone wird bald zur Fernbedienung im Haushalt: Nächste Woche will Apple eine erste Heimautomatisierung vorstellen. Das wurde jetzt auf der Entwicklerkonferenz WWDC bekannt. Das iPhone soll dann erstmals als Fernbedienung für den Haushalt dienen. Künftig sollen mit dem iPhone fast alle Geräte im Haushalt gesteuert werden: Vom Licht, über die Sicherheitssysteme bis hin zum Toaster.
Wirklich! Ihr dürft nicht vergessen, dass hinter der App keine Kids sitzen, die heute mit dem Bloggen angefangen haben. Im Gegenteil. Ulrich Machold, KOMPAKT-Verantwortlicher bei Axel Springer, formuliert die hochgesteckten Ziele, die mit dem Team aus studierten Journalisten erreicht werden sollen: „Mit KOMPAKT möchten wir ausprobieren, wie Journalismus aussehen kann, der ausschließlich für die Plattform Smartphone gemacht ist.“
Wenn uns die KOMPAKT wirklich einen Blick in die Zukunft des journalistischen Erzählens bietet, dann rettet eure Kinder.
Wirklich dramatisch ist jedoch nicht die Bescheuerten-Berieselung – auch wir können uns mit Formaten, die nicht informieren sondern vor allem unterhalten wollen, durchaus anfreunden. Auch die offensichtliche Abstinenz von redaktioneller Kontrolle ist geschenkt. Traurig macht die Tatsache, dass das zusammenkopierte Twitter-Einerlei in einer der schönsten und am sorgfältigsten durchdachten Applikationen der vergangenen Monate ausgeliefert wird.
Die verantwortlichen Programmierer der KOMPAKT-App haben ganze Arbeit geleistet, sich an den Auftritten Yahoos, der ARTE und der Reuters-App orientiert und einen sagenhaft gut bedienbaren News-Reader gebaut, der nun unter den miserablen Inhalten seiner Schreiber bzw. seines Schreibers (der gebotene Umfang könnte auch von einer Person abgedeckt werden) zu leiden hat.
Die stark verkürzten Übersetzungen amerikanischer Web-Fundstücke „Der Nutzen und Schaden von Selfies„, die Artikel-Illustrationen in bester BILD-Manier und die inflationär eingesetzten Zitat-Boxen zum Füllen der ohnehin schon kleinen KOMPAKT-Seiten machen euch nach einer Tour durch die momentan noch kostenlose Anwendung dümmer, als eine halbe Stunde RTL 2 in der Nacht vom Sonntag zum Montag.
Wir haben KOMPAKT erwartungsfroh geladen und sind sowohl vom Aufbau der 12MB großen App als auch von ihrer Artikel-Navigation begeistert – inhaltlich müsste das App Store-Experiment jedoch nicht nur nachbessern, sondern sein gesamtes Buzzfeed-Konzept über Bord werfen.
Die Welt ist zu Komplex um den Machtkampf Springer vs. Google auf ein Döpfner-Zitat zu reduzieren. Ehrlich. Und KOMPAKT, dies sollten wir an dieser Stelle vielleicht auch erwähnen, versammelt keine Anreißer, die auf längere Texte verlinken, die App beschränkt sich konsequent auf ihre 20-Wort-Einträge.
Die Diskrepanz zwischen der KOMPAKT-App und dem von ihr angebotenen Inhalt lässt sich am besten mit einer Analogie aus eurem Geschirrschank beschreiben: Wenn wir uns die App als Tasse vorstellen, als die schönste Tasse, die euer Esszimmer-Schrank hergibt. Aus einem wertigen Material, handwerklich makellos verarbeitet, getragen von einem perfekt geschwungenem Griff und handbemalt mit euren Lieblingsfarben. Dann gleicht der Inhalte einem Schluck Brackwasser aus dem Auffangbecken eines vernachlässigten Klärwerkes. Im Osten der UDSSR. 1970.
Die 30 Artikel der 1. Ausgabe
Verdammt schade. Und jetzt?
Ihr könnt die KOMPAKT während der Startphase kostenlos testen und auf den unausweichlichen Start des Abo-Modells warten – zum Test vorausgesetzt werden iPhones der vierten bzw. fünften Generation und mindestens iOS 7.0. Neue Inhalte erreichen euch dann mehrmals am Tag.